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    Lecture 2: ReCut Jacques Tati – Die Tücke des Objekts

     

    ReCut Jacques Tati
    Mon Oncle & Playtime (2017)

    Mit Szenen aus:
    Mon Oncle
    Jacques Tati, 1958

    Playtime
    Jacques Tati, 1967

    La modernité, promesse ou menace
    Jacques Tati’s Villa Arpel in the French Pavilion
    on the Venice Architecture Biennale, 2014

    Once Upon A Time … Mon Oncle
    Documentary, Camille Clavel, Serge July, Daniel Ablin

    Tati Express
    Simon Wallon, Emmanuel Leconte, 2014 arte

    American Look
    W.F. Banes, John Thiele, 1958

    Au-delà de playtime
    Nadia Ben Rachid, 2002

    Bruno Podalydès, Thomas Salvador
    in Histore(s) du court – Jacques Tati
    2015 arte

     


    Zwischen Euphorie und Skepsis
    Design-Kritik in der Nachkriegsmoderne 1950er und 60er Jahre

     

    American Look (1958) W.F. Banes, John Thiele

    Der von Chevrolet produzierte Film als „Tribute to the man and woman who design” ist neben seiner verdeckten Werbung für das seinerzeit aktuelle Automodell von Chevrolet auch eine stramme Propaganda für den amercian way of life zur Zeit des Kalten Krieges zwischen den Supermächten USA und Sowjetunion und ihren jeweiligen Verbündeten. Zum Zeitpunkt seiner Entstehung absolut ernst gemeint, wirkt der Film heute in seinem bedingungslosen Fortschrittsglauben und seines auf ein reines „Styling” verengten Blick auf die Aufgabenfelder des Design unfreiwillig komisch.

     

    Im selben Jahr 1958 realisiert Jacques Tati seinen erfolgreichsten Film:
    Mon Oncle.

     

     

    Jacques Tati: Mon Oncle (1958)

    Mein Onkel (Originaltitel: Mon oncle) ist eine französische Filmkomödie von Jacques Tati aus dem Jahr 1958. Tati verkörpert in dieser Satire, die die sterile und automatisierte moderne Welt karikiert, nach Die Ferien des Monsieur Hulot zum zweiten Mal den tollpatschigen Außenseiter Monsieur Hulot. Mein Onkel wurde zu Tatis größtem Erfolg; der Film gewann 1958 den Sonderpreis der Jury bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes und ein Jahr später den Oscar für den besten fremdsprachigen Film.

    aus
    wikipedia.org/wiki/Mein_Onkel

     

     

     

    Villa Arpel

    In Jacques Tatis Film „Mon Oncle” hat ein Haus die Hauptrolle. Es ist, obwohl von Menschenhand entworfen, ein Gegenspieler der Menschen. Sie haben mit seiner futuristischen Ausstattung zu kämpfen, mit den technischen Erleichterungen, die das Leben schwer machen, vor allem aber müssen sie sich einem autoritären Design unterwerfen, das keine Unordnung duldet. Um in diesem Haus nicht zu stören, müsste der Mensch zum Sofa oder zum Cocktailsessel werden. Selten hat Filmarchitektur eine so entscheidende Rolle eingenommen wie in den Filmen Jacques Tatis. Das production design wie der angelsächsische Ausdruck dafür lautet, hat hier seine eigene Herrschsucht, die Herrschsucht des Designs in der modernen Welt inszeniert.

    aus
    zeit.de/2005/07/K-Retro/seite-1

     

     

    Excerpt from the documentary
    Once Upon A Time … Mon Oncle (ina.fr)

    Jacques Tati explains his methods of film making, with reference here to his parody of modernism in the 1958 film „Mon Oncle“. American film maker David Lynch remarks on the significance of sound effects in Tati’s films.

     

    Jacques Tati

    (bürgerlich Jacques Tatischeff; * 9. Oktober 1907 in Le Pecq im Département Seine-et-Oise, heute Yvelines; † 4. November 1982 in Paris) war ein französischer Drehbuchautor, Schauspieler und Regisseur.

    Mit der von ihm entwickelten und dargestellten Figur des Monsieur Hulot eroberte er sich einen Platz in der Filmgeschichte – und das mit insgesamt nur fünf langen Spielfilmen. Als Schauspieler bediente er sich der Mittel von Pantomime und Slapstick und agierte in der Gestalt des Monsieur Hulot als unermüdlicher Zivilisationskritiker.

    Als Regisseur war Tati – auch wenn er inhaltlich oft die gute alte Zeit beschwor – seiner Zeit in manchem weit voraus. So beeindruckte er z. B. durch den einfallsreichen Einsatz moderner filmtechnischer Mittel. Zudem war er ein Einzelgänger, der die völlige künstlerische Kontrolle über seine Filme anstrebte. Darin und in seinem Hang zum Perfektionismus ist er auf dem Gebiet der Filmkomik am ehesten mit Charles Chaplin und Buster Keaton vergleichbar.

    aus
    wikipedia.org/wiki/Jacques_Tati

     

     

    Interview mit Jacques Tati (1977)
    in englischer Sprache

     

     

    Interview mit Jacques Tati (1977)
    in deutsch

    Jacques Tati zählt zu Frankreichs größten Kinolegenden, sein Genie für die Filmkomödie und die Begabung als Pantomime standen seinen Vorläufern Charlie Chaplin oder Buster Keaton in nichts nach. Der von ihm kreierte, durchs Leben stolpernde Monsieur Hulot ist ein Clown, der immer seine Fans haben wird. Wenn er versucht, sich mit der modernen Technik und ihren raffinierten und nicht weniger tückischen Erfindungen anzufreunden, hat man das Gefühl, dass in allen von uns ein bisschen Hulot steckt, obwohl wir uns damals noch nicht mit seltsamen Übersetzungen in der Bedienungsanleitung unserer elektronischen Geräte herumschlagen mussten. Tati drehte insgesamt nur fünf Filme, die jedoch sorgten für Furore: „Die Ferien des M. Hulot“ (1953), „Playtime“ (1967) oder „Traffic“ (1971) gehören zu den unterhaltsamsten und ebenso seltsamsten Werken der Filmgeschichte, weshalb François Truffaut „Playtime“ als einen Film wie von einem anderen Stern bezeichnete.

    fluter.de/de/367/heimkino/8525/

     

     

     

    Jacques Tati: Playtime (1967)

    Für den Regisseur war der Konflikt des Menschen mit der zunehmenden Technisierung eine thematische Obsession. In „Playtime“, einer Satire auf die moderne Großstadt, malte er eine futuristische Vision aus, die ähnlich großartig und zeitlos geriet wie Fritz Langs „Metropolis“ oder Ridley Scotts „Blade Runner“. Er war ein Megalomane und Perfektionist, der vor nichts zurückschreckte, und durch die Kostspieligkeit seiner Forderungen alles davor in den Schatten stellte.

    fluter.de/de/367/heimkino/8525/

     

    1 Ankunft in Tativille

     

    Für „Playtime“ schuf Tati am südöstlichen Rand von Paris eine gigantische Filmstadt. Eine surreale Utopie der französischen Hauptstadt, mit einem Aufwand der ebenfalls surreal wirkt. Tativille wurde aus 50.000 Kubikmetern Beton, 4 Quadratkilometern Kunststoff und 1200 Quadratmetern Glas, auf einer Fläche von 15.000 Quadratmetern erschaffen und war eine kleine Stadt für sich. Es gab gepflasterte Straßen, funktionierende Ampelanlagen und unzählige Neonreklamen. Den Strom dafür produzierten zwei Elektrizitätswerke, die eine 15.000-Einwohner-Stadt hätten versorgen können… Durch Tativille wurde Filmarchitektur ans Limit geführt.

    unoculus.wordpress.com/tatis-playtime

     

    Jacques Tati – Making Of Playtime

     

    1.200 Quadratmeter Plexiglas für Hochhausattrappen, dreimal so viel Kunststoff und fünfzigtausend Kubikmeter Zement wurden herangeschafft, um Tativille zu bauen. Auf einem Areal von fünfzehntausend Quadratmetern entstand die durchdesignte Stadt der Zukunft. Ausgestattet mit voll funktionstüchtigen Fahrstühlen und Rolltreppen, Leuchtschildern und einem Drugstore, war die Kopfgeburt einer amerikanisierten Metropole komplett. Eine kritische Anspielung auch auf den damals entstehenden Gare Montparnasse und die Trabantenstadt Sarcelles mit ihren kalten, blockigen Wohnbauten. Tatsächlich erinnern die Gebäude von Tativille an „La Défense“, das neue Geschäftsviertel von Paris. Jacques Tati selbst meinte, er habe das Viertel schon vor seinem Bau filmisch karikiert. Ironie der Geschichte: Das Filmset zu „Playtime“ entwarf Jacques Lagrange, der später die ersten Entwürfe zu „La Défense“ erstellte.

    aus
    taz.de/1/archiv

     

    Die „Handlung“ des Films scheint nie auf ein Ziel hinauszulaufen, sondern wirkt eher wie die Aneinanderreihung verschiedener Episoden (Flughafen, Bürohaus, Industrieausstellung, Privatwohnung, ‚Drugstore’, Nachtclub, Kaufhaus und Rückreise zum Flughafen). Das ruhige Montagetempo des Films verstärkt diesen Eindruck noch. Tati nimmt sich Zeit und breitet die einzelnen Szenarien, ohne Rücksicht auf dramaturgische Gepflogenheiten, ganz behutsam aus.

     

    2 Verloren

     

    Zudem sind die einzelnen Einstellungen in „Playtime“, wie in allen Filmen Tatis, relativ lang und meist aus weiter Entfernung aufgenommen (meist benutzt Tati die Totale), so dass der Zuschauer die Möglichkeit bekommt, seinen Blick schweifen zu lassen. Diese Methode wird noch durch das 70-mm–Format des Films unterstützt, wodurch eine enorme Raumtiefe entsteht.

    Auf diese Weise laufen in vielen Einstellungen des Films Unmengen von kleinen Handlungen gleichzeitig ab. Dabei ist das Bild meist in Vorder-, Mittel-, und Hintergrund gestaffelt. Auf jeder Ebene geschehen unterschiedliche Dinge, so dass sich der Zuschauer stets aussuchen kann (und muss), welchem Teil des Bildes er seine Aufmerksamkeit schenkt. Der Betrachter hat somit die Möglichkeit, seinen ganz eigenen Film zu schauen. „Normalerweise lachen die Leute in einer Komödie zur gleichen Zeit über die gleichen Dinge. In ‘Playtime‘ dagegen lacht man zu verschiedenen Zeiten über die unterschiedlichsten Dinge“ (Maddock).

     

    3 Appartement

     

    Tati untergräbt gängige Kinokonventionen, indem er den Blick des Zuschauers nicht durch Kameraeinstellungen, Schnitt und/oder Großaufnahmen „lenkt“. Er verwendet ein „demokratisches“ Prinzip, das jedem Zuschauer die Möglichkeit bietet, selbst zu entscheiden, welchen Handlungen im Bild er folgen möchte.

    aus
    unoculus.wordpress.com/tatis-playtime

     

    Die Wände in Tatis City sind transparent, aber Innen- und Außenräume bleiben tonal getrennt. Schaukastenartige Wohnboxen mit freizügigen Fensterfronten gewähren tiefe Einblicke in private Familienszenen – wie in Hitchcocks „Fenster zum Hof“ dem Voyeur ausgestellt. Der Familienvater nippt heimlich an der Brandyflasche. Wrumm, der Bus fährt vorbei. Die Geräusche der inneren Szenerie bleiben verborgen. Architektur wird in „Playtime“ zur unsichtbaren Barriere. So manche Nase stößt auf Glastüren, Spiegelbilder lösen Verwirrung aus. Die Touristen bekommen das historisch gewachsene Paris nur vermittelt zu sehen: eine Reflexion des Eiffelturms in der Glastür, eine Abbildung von Sacre-Coeur auf einem Kopftuch.

    aus
    taz.de/1/archiv

     

    4 Drugstore

     

    Günther Anders’ These von der Antiquiertheit des Menschen in der technischen Zivilisation hat bei Tati seine satirische Veranschaulichung gefunden; wir sind nur noch Diener der gebauten Zukunftsvisionen, und nirgends wird das so deutlich wie in Tatis Playtime, wo die Glastüren eines Restaurants zu Bruch gehen und die solchermaßen herrenlos gewordenen Türgriffe nunmehr von einem Kellner in der Luft bewegt werden müssen, nach außen, wenn ein Gast kommt, und nach innen, wenn einer geht – mit anderen Worten: Der Kellner hat die Funktion der Tür übernommen, und damit kehrt sich alles um, was einst der Werkzeuggebrauch des Homo Faber versprach: Der Mensch der Moderne ist zum Werkzeug seines Werkzeugs geworden.

    aus
    zeit.de/2005/07/K-Retro/seite-1

     

    5 Restaurant

     

    Im Frankreich des wirtschaftlichen Aufschwungs und Futuroptimismus fand dessen Kritik am modernen Städtebau wenig Resonanz. An den französischen Kinokassen der späten Sechzigerjahre war „Playtime“ ein Flop, durch den Tati an den Rand des Ruins geriet. Der kommerzielle Fehlschlag hatte aber auch technische Gründe. Fraß das gigantische Projekt schon während des Drehs und der Entstehung Unsummen, war auch das Endprodukt nicht leicht auf den Markt zu lancieren. Es existierten kaum Kinos, die das 70-Millimeter-Format abspielen konnten. Kopien im gängigen 35-Millimeter-Format zu ziehen, das wiederum widersprach der kinematografischen Vision des Regisseurs. „Ich frage einen Künstler ja auch nicht, warum er denn ein ganzes Blatt Papier zum Zeichnen verwendet“, empörte sich Tati.

    aus
    taz.de/1/archiv

     

    Hier setzt sich die Kompromisslosigkeit dieses Werks fort. Tati musste einfach wissen, dass der enorme finanzielle und technische Aufwand, verbunden mit der gängigen Vorführpraxis und dem vorherrschenden Publikumsgeschmack, einen Fehlschlag nach sich ziehen würde. Trotzdem lenkte er in keiner Weise ein und macht „Playtime“ dadurch zu einem künstlerischen Manifest, das in seiner radikalen Ausführung einmalig in der Geschichte des Films ist.

     

    6 Autokorso

     

    Tati verlor durch „Playtime“ sein Vermögen, seine Produktionsfirma, die Rechte an seinen Filmen und seine künstlerische Freiheit.

    Aufgrund der Schulden, die Playtime hinterlassen hatte, sah sich Tati in seinem voletzten Film „Trafic“ (1971) gezwungen, Hulot wieder in den Mittelpunkt des Films stellen, was er eigentlich hatte vermeiden wollen. In dem Film versucht er, einen Auto-Prototypen rechtzeitig zu einer Automobilmesse zu bringen. 

    Doch Tati konnte seinen Bankrott nicht mehr abwenden und zog sich enttäuscht aus dem Filmgeschäft zurück. 1974 folgte lediglich noch ein für das schwedische Fernsehen produzierter Zirkusfilm für Kinder mit dem Titel „Parade“.

    1977 wurde Tati mit dem Ehren-César der Académie des Arts et Techniques du Cinema ausgezeichnet.

    Jacques Tati starb am 4. November 1982 an einer Lungenembolie und wurde auf dem Cimetière ancien in Saint-Germain-en-Laye beigesetzt.

     

    Jacques Tati / Filmography

    L’École des facteurs (1947) (short film)
    Jour de fête (1949)
    Les Vacances de Monsieur Hulot (1953)
    Mon Oncle (1958)
    Play Time (1967)
    Trafic (1971)
    Parade (1974)
    Forza Bastia (1978) (short film)