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Diener des Allgemeinwillens
Reyner Banham, ulm 6, 1959

erstellt am: 11.06.2017 | von: englich | Kategorie(n): Texte zum Design

 

Am 22. September 1965 hielt Reyner Banham (London) den Einführungsvortrag zur diesjährigen ICSID-Generalversammlung in Wien. Wir veröffentlichen eine unwesentlich gekürzte Fassung dieser Rede.

Für und mit der Gemeinschaft 

Es gibt keine Produktgestaltung, die nicht Gestaltung für die Gemeinschaft, Gestaltung mit der Gemeinschaft ist. Das Handwerk kann individuell bestimmt sein, aber die Industrie ist auf die Gemeinschaft ausgerichtet. Der Produktgestalter setzt die Existenz einer Fabrikgemeinschaft voraus, die seinen Entwurf produziert; weiterhin eine Käufergemeinschaft, die diesen Entwurf braucht; und eine Gemeinschaft von Kommunalbetrieben, welche die dazu notwendigen Energien liefert oder die Straße baut, auf der schließlich der Entwurf fahren soll. Der Produktgestalter greift auch in das Leben und die Arbeit anderer Gemeinschaften ein, die ihm nicht einmal bekannt sein müssen; der Entwurf eines neuen Stuhles kann der Anlaß dafür sein, daß ein bestimmter Hartholzwald in Afrika gefällt wird und daß der Energieverbrauch einer Schweißers in Zagreb oder Caracas zunimmt.

‚Gemeinschaft‘, sentimental und sachlich Es fällt mir zu, den Begriff ‘Gemeinschaft’ so allgemein zu fassen, daß er alle Nuancen sprachlicher und politischer Art umfaßt. Lassen Sie mich zunächst auf die emotive oder sentimentale Bedeutung dieses Wortes eingehen, die es zu einem nützlichen Namen für einen Kongreß und die aus ‚Gemeinschaft‘ ein Schlagwort oder einen Sammelruf für Widermeinende aus allen Teilen der Welt macht. Auf diese Bedeutung sprechen auch gern weise Männer mit abgeklärtem Gebaren an, ganz gleich, welcher politischen Meinung sie anhängen. Die besondere Stärke der emotivon Seite von ‚Gemeinschaft‘ liegt darin, daß es als Gegenstück zu ‚Entfremdung‘ verstanden wird; und Entfremdung gilt über das ganze politische Spektrum hin als ein übel Ding – sogar die USA, die offiziell den vereinzelten, unabhängigen demokratischen Wähler preisen, vergöttern ebenso die formalen und informalen Organe der Gemeinschaft sowie das verschwommene Gefühl der Nichtentfremdung, die unter dem Namen ‚Beisammensein‘ geht. Deshalb soll man sich diesem Wort mit Vorsicht nähern. Allein die Tatsache, daß es die Herzen erwärmt, kann bedeuten, daß es die Geister vernebelt. Wir könnten versucht sein, zu glauben, daß eine Gestaltung für die ‚Gemeinschaft‘ eben aus diesem Grunde wünschenswerter, verantwortlicher und sittlich unanfechtbarer Ist als eine Gestaltung für andere Auftraggeber. Ich meine, es Ist wirklich gut, in der Gemeinschaft in diesem Sinne zu gestalten. Ich fühle ebenfalls den warmen Schimmer sittlicher Selbstbestätigung – solange ich nicht daran denke, daß dieselbe Gemeinschaft auch den Bau von Gefängnissen, die Herstellung von Tränengasgranaten und Atombomben in Auftrag gibt.

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Diener des Allgemeinwillens, Banham, 1965 

aus: „Ulmer Texte“. Köln International School of Design.
Projekt unter der Leitung von Prof. Gui Bonsiepe.

 

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