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Lecture 5: Essayfilm
am Beispiel Agnès Varda und Chris Marker

erstellt am: 11.06.2017 | von: englich | Kategorie(n): Lectures 1–5

Kommentiertes Screening und Diskurs am 30.5.2012, 8.30 Uhr, Hörsaal

 

Der Essayfilm (von frz.: essai = Versuch) ist eine experimentelle Filmform zwischen den Filmgattungen Spielfilm und Dokumentarfilm, in welcher der Regisseur mit betont subjektiver Betrachtungsweise aus den Zwängen der Erzählmuster ausbricht. Der Essayfilm gilt daher als offenes Werk, das mit verteilter Aufmerksamkeit und Multiperspektivität auf der Suche nach Zusammenhängen eine künstlerische Freiheit beansprucht, die sich den Konventionen des Filmemachens entzieht. Dabei kommt dem Ton eine übergeordnete Bedeutung zu; häufig werden die freischweifenden Reflexionen durch einen Erzähler zusammengehalten. Charakteristisch für den Essayfilm ist weiterhin der Bruch mit den Prinzipien der Kohärenz, Kausalität und Kontinuität von Raum und Zeit und die Bildung von Bildmetaphern.

aus
wikipedia.org/wiki/Essayfilm

siehe auch:

Hanno Möbius: Das Abenteuer Essayfilm,
in: Versuche über den Essayfilm (Augenblick 10), Marburg 1991, S. 10-24

moebius-1991.pdf

 

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Masterclass mit Agnès Varda (03.2019)

 

The Beaches Of Agnès (2008) Agnès Varda

 

Agnès Varda wurde 1928 in Bruxelles, Belgien, geboren. Nach ihrem Studium in Paris (Sorbonne, École du Louvre und Ausbildung zur Fotografin) arbeitet sie als Fotografin am Théâtre National Populaire von Jean Vilar.

Aufgrund des Bekanntheitsgrades des T.N.P. und der Popularität Gérard Philipes, werden ihre Bilder schnell bekannt. Sie macht auch große Fotoreportagen unter anderem in Spanien, China und Kuba. Im Jahr 1954 macht sie sich selbstständig und steigt in die Filmbranche ein: Sie gründet die Firma Tamaris Films (später Ciné Tamaris) und dreht ihren ersten Film La Pointe Courte, mit dem sie sich als Vorläuferin der „Nouvelle Vague“ erweist.

 

Varda par Agnès – Publikumsgespräche 1 (2018) Agnès Varda

 

Varda par Agnès – Publikumsgespräche 2 (2018) Agnès Varda

 

Varda arbeitete bis kurz vor ihrem Tod als Regisseurin. 2019 lief ihr Dokumentarfilm Varda par Agnès außer Konkurrenz im Wettbewerb der Berlinale, wo Varda auch mit dem Ehrenpreis, der Berlinale Kamera, ausgezeichnet wurde. Bereits 2017 hatte sie den Ehrenoscar für ihr Lebenswerk erhalten. Agnès Varda starb im März 2019 im Alter von 90 Jahren in Paris.

 

Visages Villages (2017) Agnès Varda – Trailer

 

Im Film macht sich die Filmemacherin Agnès Varda gemeinsam mit dem Fotografen und Streetart-Künstler JR in einem Fotomobil auf eine Reise durch das ländliche Frankreich. Sie besuchen die unterschiedlichsten Menschen und entdecken ihre Geschichten, die sie in überlebensgroßen Porträts an Fassaden, Zügen und Containern verewigen.

„Indem wir die Porträts vergrößern, machen wir kleine Momente groß, und zwar im Leben von Leuten, die nicht im Scheinwerferlicht stehen.“

 

Cléo de 5 à 7 (1962) Agnès Varda – Ausschnitt

 

Ab 1958 dreht Agnès Varda unaufhörlich, in Eigenproduktion und im Auftrag für andere Firmen, Dokumentarfilme, Kurz- und Spielfilme, Portraits und Hommagen (insbesondere über ihren Mann, Jacques Demy). Als Erfinderin der „cinécriture“, des filmischen Schreibens in Abhängigkeit von Begegnungen, Zufällen, Wünschen, Bedürfnissen und möglichen Exkursen, kreiert Varda einen Stil, der sich zwischen dokumentarischem Realismus und poetischer Fiktion bewegt. Sie richtet einen direkten und aufmerksamen Blick auf die Dinge und die Menschen, die sie umgeben, auf das Leben, das für sie eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration bedeutet (die Krankheit in „Cleo – Mittwoch zwischen 5 und 7”, die Schwangerschaft in „L’Opéra-Mouffe”, der Ehebruch in „Das Glück”, die Liebesbeziehungen in „Die Geschöpfe”, die Stellung der Frau in „Die Eine singt, die Andere nicht”, die Parallelwirtschaft in „Die Sammler und die Sammlerin”, etc.)

 

Agnès Varda – Porträt in 7 Minuten

 

 

Filmbeispiele von Agnès Varda

Salut les cubains (1963) Agnès Varda

 

Black Panthers (1968) Agnès Varda

 

Ihr Werk umfasst insgesamt über 30 Filme, die frei, subjektiv, poetisch, sensibel und aufmerksam die alltäglichen Dinge des Lebens zum Thema machen. Es ist das Werk einer Sammlerin, einer Vagabundin.

 

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Chris Marker

„Chris Marker wollte nicht repräsentieren und daher auch nicht fotografiert werden.“ Dies sagte Agnès Varda auf den „Rencontres photographiques d’Arles“ im Sommer 2011 über den ihr sehr vertrauten Künstler.

 

Agnès Varda zu Besuch im Atelier von Chris Marker

 

Kurz nach dem zweiten Weltkrieg nahm der ehemalige Philosophiestudent Christian-François Bouche-Villeneuve das amerikanisch klingende Pseudonym Chris Marker an. Als Anhänger der Nouvelle Vague ließ er sich dabei sicherlich von deren Vorliebe für das amerikanische Kino leiten. Mit seinem Freund Alain Resnais drehte er den Film Les statues meurent aussi (1953), der sich gegen die im Westen übliche Verachtung der „Negerkunst“ wandte. Auf eigenständige Weise nahmen Resnais und Marker Einfluss auf ihre Zeit, über den Umkreis der Intellektuellen- und Künstlerkreise von Saint-Germain-des-Prés hinaus und das Umfeld der Freunde von der Zeitschrift „Cahiers du cinéma“ hinaus. So wusste Marker als Herausgeber einer Reisebuchreihe („Petite Planète“, Verlag Le Seuil), dass sich die Veränderung der Welt nur durch konsequentes Überdenken von Form und Filmsprache sowie durch eine Erneuerung der Erzählweisen adäquat ausdrücken lässt.

 

Chris Marker par Agnès Varda

 

Wer war Chris Marker … in Blow Up / Arte (2013)

Auf arte …
Chris Marker: Reisender in Zeit und Raum
Die Vor- und Abspanne von Chris Marker

Youtube

La Jetée wird 50 / Arte

 

Sein berühmtester Film, Am Rande des Rollfelds (1963), ist auch Science-Fiction: symptomatisch für den Künstler, der formale, räumliche oder zeitliche Grenzen überwinden will. Der Protagonist des Films wird Opfer grausamer wissenschaftlicher Experimente, die ihn in die Vergangenheit und in die Zukunft blicken lassen. Mit Ausnahme eines durch seine Kürze (1 Sekunde!) und Einmaligkeit besonders eindrucksvollen bewegten Bildes (eine schlafende Frau schlägt plötzlich die Augen auf und schaut den Betrachter fragend an) wird die Geschichte durchweg in Standbildern erzählt. In diesem vom Autor selbst „Fotoroman“ genannten Werk wird ständig ein Spiel mit den Sehgewohnheiten des Zuschauers getrieben. Die Kommentarstimme des Erzählers Jean Négroni und die Musik von Trevor Duncan verstärken die mitreißende Wirkung des Streifens.

 

La Jetée (1963) Chris Marker

 

Am Rande des Rollfelds hat nicht nur seine Zeit geprägt, sondern auch den Regisseur Terry Gilliam zu seinem Film 12 Monkeys (1995) angeregt. Darin bedient sich Gilliam verfremdender Stilmittel, um sich mit der Reise ins Innere und den Narben der Zeit auseinanderzusetzen. Gleichzeitig beschäftigt er sich auf einer allgemeineren Ebene mit Wahrnehmungsfragen, mit der Subjektivität des Gedächtnisses und mit dem nahem Beieinander von Verrücktheit und Normalität. Diese Themen bilden auch den Kern von Markers Werken und stehen für dessen politischen Ansatz. Auf dieser Grundlage wollte Marker von den 1950er Jahren an die Entwicklung der Welt dokumentieren (Beispiele: Dimanche à Pékin (1956), Lettre de Sibérie (1958) und ¡Cuba Sí! (1961).

 

Chris Marker Documentary

 

In all seinen Filmen ist das Publikum nicht nur Zeuge des Geschehens, sondern soll sich – vermittelt durch Markers Blick – Gedanken über seine eigene Betrachtungsweise machen und die passive Zuschauerhaltung überwinden. Dasselbe gilt für Le fond de l’air est rouge (1977), einen dreistündigen Film über die Geschichte der revolutionären Utopien. Sans soleil – Unsichtbare Sonne (1983) bewegt sich in anderen Breitengraden (von Japan über Kap Verde bis nach Guinea-Bissau), um uns mit unserer eigenen, westlichen, Lebensweise zu konfrontieren.

 

Sans Soleil (1983) Chris Marker

 

Sans Soleil – Unsichtbare Sonne (deutsch: Ohne Sonne) ist ein französischer Essayfilm aus dem Jahr 1983 von Chris Marker. Der Titel bezieht sich auf den gleichnamigen Liederzyklus von Modest Mussorgski. Sans Soleil ist eine Meditation über die Natur menschlicher Erinnerung.

Bei dem Film handelt es sich um eine reiche Vermischung von Gedanken, Bildern und Szenen vor allem aus Japan und Guinea-Bissau. Andere Szenen wurden in Paris und San Francisco gedreht. Eine Erzählerin liest fiktive Briefe des erfundenen Kameramannes Sandor Krasna, der darin auch seine Erlebnisse auf Reisen beschreibt. Der Wechsel von Themen und Orten ist frei fließend. Im Film wird über die Schönheiten der Natur referiert und sie gezeigt, gleichzeitig auch ihre Bedrohung durch die Zivilisation beleuchtet.

Jochen Brunow bezeichnete den Film im Metzler Filmlexikon als einen „Film von großer Dichte und Komplexität, kein(en) klassische(n) Essayfilm. (…) Reisebeschreibungen, in Briefform geäußerte Gedanken, Gedichte, Anekdoten, thematische Reflexionen über Bilder und das Kino wechseln kunstvoll miteinander ab. Sans soleil setzt auf die analytische Kraft der Bilder, auf die Errettung der äußeren Wirklichkeit. Der Film schafft dies, indem er die große Bilderflut, die numerische Vervielfachung der existierenden Bilder und die Zersetzung ihrer Abbildfunktion durch die elektronische Bearbeitung im Computer, in den Körper des Films selbst hineinholt.“

In Sans soleil (1983) untersucht Regisseur Chris Marker die Begriffe Wirklichkeit, Beständigkeit und Vergessen in einem Prozess der Selbstfindung. Der meditative Film über die Natur menschlicher Erinnerung wird durch das selbstkritische Kommentieren von Lebensepisoden einer mit dem Regisseur identischen, fiktiven Figur in einer „eigentümlichen Schwebe zwischen Vergangenheit und Gegenwart gehalten“.

Chris Marker starb am 29. Juli 2012 in Paris.

Vita:
wikipedia.org/Chris_Marker

Chris Markers Youtube-Channel …
creative.arte.tv/de/Kosinki
youtube

 

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